In einem dreiseitigen Beitrag widmet sich „Der Spiegel“ der Leichten
Sprache – ein Beitrag voller Halbwahrheiten, Widersprüche und Fehler.
Autor Martin Doerry offenbart Oberflächlichkeit und ungenaue
Recherche. Sachverhalte stellt er nicht richtig dar. Doerry führt Leichte
Sprache – so wie er sie sieht – vor, um sie lächerlich zu machen. Er
pickt sich nur die Zutaten heraus, die seine vorgefertigte Kritik
untermauern. „Kluge Leute haben sich die Leichte Sprache für
Menschen mit Lern-Schwierigkeiten ausgedacht“, schreibt er und
verkennt, dass Leichte Sprache gemeinsam mit Menschen mit
geistiger Behinderung entwickelt wurde.
Leichte-Sprache-Regeln sind weder leicht, wie er behauptet, noch sind
die Passagen, die Doerry selbst in Leichter Sprache schreibt,
tatsächlich Leichte Sprache. Er verweist auf den Leichte-Sprache-
Duden, um im Folgesatz zu erklären: „Die Regeln stammen vom
Netzwerk Leichte Sprache.“ Entschuldigung, Herr Doerry, aber das ist
falsch! Wenn Sie ein wenig genauer schauen, erkennen sie leicht,
dieses Werk haben Hildesheimer Wissenschaftlerinnen verfasst, die ihr
Leichte-Sprache-Regelwerk vorstellen. Vier Absätze weiter lässt er
sogar die Hildesheimerin Christiane Maaß, Mitautorin der Duden-
Ausgabe, zu Wort kommen.
Er dreht es, wie er es sieht und meint, Maaß und ihre Kollegen liefern
das theoretische Rüstzeug zum praktisch veranlagten Netzwerk
Leichte Sprache. Das mag so scheinen, aber de facto handelt es sich
um zwei konkurrierende Regelwerke. Netzwerk-Vertreter lehnen die
„Akademisierung“ der Leichten Sprache gar ab.
Sein eigentliches Problem kreist um den Ausspruch „Leichte Sprache
ist gut für alle“ – der innerhalb der Leichten-Sprache-„Szene“ durchaus
kritisch gesehen wird. Leichte Sprache wird von vielen abgelehnt, die
gut lesen können. Man könnte sachlich auseinanderpflücken und mit
Fakten belegen, welche Bevölkerungsgruppen Leichte Sprache
ablehnen und warum sie es tun. Aber was macht Doerry? Er spielt
„Besserwisser“ gegen diejenigen aus, denen Leichte Sprache das
Leben wirklich leichter macht. Doerry sieht schwarz-weiß, nicht bunt.
Auch Konrad Paul Liessmann befürchtet in der „Neuen Zürcher
Zeitung“ Gleichmacherei auf niedrigem sprachlichen Niveau. Hinter
dem Konzept der Leichten Sprache wittert er „den Versuch einer
radikalen Reduktion, Verflachung und Vereinfachung“. Sein Fazit:
„Leichte Sprache ist seichte Sprache.“ Liessmann bezichtigt die
Leichte Sprache, die populistische Vereinfachung zu fördern. Er
übersieht, eine sprachliche Vereinfachung bedeutet nicht automatisch
inhaltliche Vereinfachung. Denn im Umkehrschluss würde das
bedeuten: Schwierige Sprache ist sehr inhaltsreich. Wer schwierig
geschriebene Texte in Leichte Sprache übersetzt, weiß: Die sind oft
ganz schön hohl. Sucht man griffige Infos, bleibt nicht viel übrig. Häufig
wird mit beeindruckenden Phrasen die Inhaltsleere übertüncht. Und
das soll besser sein?
Weiter beschuldigt Liessmann die Leichte Sprache, sie unterschlage
„Rhythmus, Stil, Schönheit und Komplexität als Sinn- und
Bedeutungsträger in einer Sprache“. Dafür ist sie aber gar nicht
gemacht. Das kann sie nicht leisten, das soll sie nicht leisten, das
braucht sie nicht zu leisten. Ihr geht es nicht um sprachliche Schönheit,
sondern um größtmögliche Verständlichkeit. Diesem Ziel ordnet sich
alles andere unter.
Sprachliche gleich inhaltliche Vereinfachung: In dieses Horn bläst auch
„Welt“-Autorin Susanne Gaschke. Sie wirft der von ihr sonst so
hochgeschätzten Wochenzeitung „Das Parlament“ vor, „uralte
antidemokratische Klischees“ zu bedienen. Sie stößt sich an der
Leichte-Sprache-Beilage „Vertrauen – Wichtig für die Demokratie“.
Leichte Sprache verstört Gaschke nicht nur, wie sie selbst einräumt,
sondern sie findet das Sprachkonzept „ungeheuer herablassend“ und
fragt: „Wer gibt eigentlich wem das Recht, seine Mitmenschen für zu
doof zu halten, um Dinge in normaler Sprache zu verstehen?“
Ihre Kritik, wie die „Parlament“-Beilage die Vertrauenskrise erklärt, ist
berechtigt. Dies betrifft den Inhalt, nicht das Sprachkonzept an sich.
Diesen Unterschied erkennt Gaschke nicht.
Übrigens: In unserem Bücherschrank steht „Das große
Märchenbilderbuch der Brüder Grimm“ – in einer zeitgemäßen,
einfachen Sprache und weit weg von den Ursprungstexten. Die Kinder
lieben es. Und? Haben die Gebrüder Grimm, Förderer der deutschen
Sprache schlechthin, Schaden genommen? Was sagen die
Sprachhüter zu einer solchen Vereinfachung? Darf man das? Kein
Aufschrei, nirgends. yvw
„Spiegel“-Beitrag „Maria in der Hängematte“, „Der Spiegel“ Nr. 29 /
2016 (nur Print)
27. Oktober 2016
Schwarz-weiß statt bunt
Medien ziehen mit Leichter Sprache ins Gericht
Die Leichte Sprache hat es schwer. In diesem Sommer haben sich Autoren verschiedener namhafter
Magazine und überregionaler Zeitungen das Sprachkonzept vorgeknöpft. Die Beiträge haben einiges
gemeinsam: schlechte Recherche, Unkenntnis, persönliche Vorbehalte und damit vorprogrammierte
Ablehnung.
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